„Jeder ist ein Photograph.“
„Jeder ist heute ein Photograph, merken Sie sich das. Das ist ja gerade das große Ding mit der Photographie.“ „Everyone is a photographer now, remember. That’s the great thing about photography.” Der englische Photograph Martin Parr (*1952) bleibt entspannt bei dieser Feststellung. Das unablässige Fotografieren mit dem Smartphone, von jedem und allem in schier endloser Bilderflut, ganz einfach, weil es geht, und der Upload in die endlosen Weiten des Internet, eben weil es geht, hat nur wenig mit dem zu tun, was er tut.
Berühmt geworden ist Martin Parr in den 80iger Jahren, als Chronist des britischen Alltagslebens. Anfangs war es tatsächlich das sprichwörtlich schlechte Wetter in England, „Bad weather“. Aufnahmen von Menschen, die sich mehr schlecht als recht mit Schirmen, Kopftüchern und triefnassen Hüten, bisweilen auch Pappkartons und Planen, vor den nicht enden wollenden Sturzbächen ins mehr oder wenige Trockene retten. Erbärmlich sieht das meist aus. Beim Betrachten glaubt man selbst zu spüren, wie einem der Regen nasskalt in den Kragen läuft. Das Schwarz-Weiß, in dem diese Serie noch gehalten ist, unterstützt die trübnasse Stimmung. Parr wechselt später zum Farbfilm. Wobei „Farbfilm“ fast schon zu neutral klingt, um Parrs Farbexplosionen der späteren Jahre angemessen zu beschreiben. Parrs Farbe knallt dem Betrachter mit extrem hoher Sättigung entgegen. Unterstützt von grellem Blitzlicht, mit dem Parr seine Motive stets ausleuchtet, auch bei Tageslicht.
Grelle Dokumentation
Parr scheint tatsächlich „einfach draufzuhalten“. Seine Bilder wirken ganz und gar nicht inszeniert, sondern vielmehr unmittelbar, direkt, ungeschönt. Sein Sujet ist der Mensch, in all‘ seinen Ausprägungen. Das scheint meist alles andere als schön, sondern verstörend, skurril, hässlich. „The Last Resort“, mit dem Parr in den den 80iger Jahren das britische Strandtreiben in heruntergekommenen Urlaubsresorts dokumentiert, sorgen für Parrs internationale Bekanntheit. Die Rezensionen bleiben zwiespältig: Ist sein Blick lediglich authentisch, „ungeschönt“ und chronistisch, oder vielmehr gnadenlos, herablassend, fast boshaft, wenn es darum geht, gerade das Unzulängliche, Groteske, Erbärmliche auszuleuchten? Buchstäblich bis in den letzten Winkel.
„Life is a beach.“
Wer wäre nicht gern am Strand. Die Redewendung „Life is a beach“, die – im Kontrast zum fast gleich klingenden „Life is a bitch“ – gerade das Schöne und Angenehme im Leben thematisiert, findet sich im Ausdruck auch bei Parr. Irgendwie zumindest. Denn Parr interessiert, was Menschen in ihrer Freizeit tun.
Das Strandleben hat Parr noch häufig zu seinem Thema gemacht. Nicht allein in New Brighton, sondern etwa auch auf Kuba und in Indien. Der Blick durch das Brennglas, auf touristische „Geheimtipps“, die längst keine mehr sind und genau aus diesem Grund verloren gehen, beziehungsweise bereits verloren gegangen sind. Nicht allein im abgerissenen Strandbad, sondern auch in der überbordenden Welt der Reichen und Superreichen zwischen München, Moskau, Miami, Peking und Dubai oder Durban, die er etwa in der Serie „Luxury“ ausstellt. Die mondänen Artefakte dieser Welt, Chinchilla Pelze und Champagner, rosige Haute Couture, die sich über dralle Hüften spannt, wirken allerdings kaum anders als die fettigen Burger-mit-Fritten und übersüßen Riesen Eisbecher, Fish & Chips auf Plastiktellern und quietschbunten Bagels in „Common Sense“.
Martin Parr ist tatsächlich ein Sammler.
Nicht allein in seinen Fotoserien, die akribisch zusammentragen, was die Freizeitgestaltung der Menschen so an höchst unterschiedlichen Anblicken zu bieten hat, sondern tatsächlich auch im ganz ursprünglichen Sinn. Parr sammelt mit großer Leidenschaft vor allem Ansichtspostkarten und Fotobände, aber auch Margaret Thatcher Devotionalien und Saddam Hussein Uhren. Vielleicht ist es dieses passionierte, um nicht zu sagen fast zwanghafte Sammlertun, der Wille, die Dinge mit Sorgfalt anzuhäufen und möglichst lückenlos zu sortieren, der innere Ansporn, der auch Parrs Fotokunst ausmacht.
Zu seiner Retrospektive in Düsseldorf hat sich Martin Parr etwas Besonderes einfallen lassen. Schrebergärtner im Rheinland hat er fotografiert. Die Bilder von höchst unterschiedlichen Menschen in ihren grünen Refugien kommen übrigens ganz ohne Gartenzwerg Häme aus. Sie zeigen zwischen üppigen Beeten, Rentner und Hipster, Familien und robuste Einzelkämpfer, teils mit den Insignien ihres Wirkens, von der Harke bis zum Rasenmäher. Martin Parr dokumentiert das mit großem Respekt. Er macht sich keinesfalls lustig. Und auch der Zynismus und die Ironie, die seinen früheren Arbeiten attribuiert wird, fehlt hier. Vielleicht ist dies auch gar nicht nötig. Und es ist einfach nur eine Einladung, sich nach sorgfältiger Betrachtung selbst ein differenziertes Bild zu machen.
Also schauen Sie doch mal genau hin, und machen sich selbst ein Bild. Viel Vergnügen!