Langsame Heimkehr. Bilderbogen einer Lebensreise
Peter Handkes Erzählung „Langsame Heimkehr“ (1979) gibt den Titel für diese Einzelausstellung und auch gleich das erste Rätsel auf. Was hat es mit der mühsamen Reise des einsamen Geologen Valentin Sorgers auf sich, dessen bescherliche Rückreise vom Polarkreis nach New York zumindest in der Erzählung kein Ende findet? Nun, Liu Xiaodong hält seine Reise, die offenbar auch noch kein Ende gefunden hat, in seiner Kunst fest. Über gleich zwei Orte verteilt, nämlich in der Kunsthalle und im NRW Forum, werden über 60 Arbeiten aus etwa fünfundzwanzig Jahren gezeigt. Mit Malerei, Zeichnung, (übermalter) Fotografie, gar einem Film von 1993, „The Days“, in dem er und seine Frau die Hauptrollen als ein Künstlerpaar spielen, wird mit einer großen Monoshow ein chinesischer Künstler vorgestellt, der in China schon längst zu den ganz Großen zählt. Auf einem Rundgang durch die beiden Museen, in denen seine Arbeiten zu den verschiedenen Stationen seines Weges in verschiedenen Räumen gruppiert sind, reisen wir mit ihm: erleben seine Heimat, Begegnungen in China, Reisen außerhalb seines Landes und schließlich den Weg zurück nach Peking. Das NRW Forum legt den Schwerpunkt auf die Fotografie, die Kunsthalle stellt Liu Xiaodongs Malerei vor.
Klassische Maltradition. Und irritierende Brüche.
Bemerkenswert ist, dass Liu Xiaodong zumeist nicht nach einer Vorlage, einem Photo malt, sondern tatsächlich „klassisch“ im Angesicht seines Motivs, oft „en plein air“, das er – so scheint es- oft sehr sorgfältig auswählt, komponiert und arrangiert. Es geht ihm eben nicht um das Momenthafte, sondern vielmehr um das Festhalten und Erinnern einer Situation.Seine digitale „Malmaschine“ steht in einem seltsamen Widerspruch dazu, eine Kamera auf dem Dach des NRW Forums, deren unablässige digitale Aufnahmen ebenso unablässig und ohne Auswahl in die analogen Pinselstriche einer Malmaschine übersetzt werden. Allerdings hat der eigentliche Prozess wiederum die Anmutung von „klassischer“ Malweise: langsam, bisweilen sogar zögerlich mutet die Entstehung des „Maschinen-Bildes“ an, in das die digitalen Kameraaufzeichnungen übertragen werden.Seine figürlichen, pastos gemalten, oft monumentalen Arbeiten halten mit kraftvollen Pinselstrichen fest, was er sieht: Menschen, die unmittelbar betroffen sind, etwa von gewaltigen Ereignissen und Umwälzungen, wie dem Bau einer Eisenbahntrasse durch ihr Land, einem Erdbeben, das ihnen ihr Zuhause genommen hat, Arbeitern auf dem Bau eines gigantischen Staudamms. Liu Xiaodong sieht stets diesen unverwechselbar Einzelnen, und macht ihn zum Mittelpunkt seiner Kunst. An diesen identifizierbar Einzelnen offenbart sich gesellschaftliche, soziale, politische oder historische Realität. Und die scheint oft gar nicht mehr zu passen, offenbart Bruchlinien, so wie in den verschiedenen riesigen Arbeiten, deren Gesamtbild aus kleineren, fast kachelartigen Flächen zusammen gesetzt ist, die gar nicht passgenau zusammen passen, sondern entlang der Kanten leichte Verschiebungen und Sprünge aufweisen.So zeigt die aus kleineren Bildkacheln zusammengesetzte Arbeit „Time“ (2014) eine Gruppe von Männern und Frauen, die auf den ersten Blick ganz idyllisch auf dem Boden sitzen. Im Hintergund und in einiger Entfernung liegt bäuchlings ein Mann. Schläft er, ist er tot? Die Bodenfliesen ringsum haben rostrote Flecken. Ist das Blut? Eine der Frauen aus der kleinen Runde im Vordergrund schaut hinüber, als einzige. Das Bild hat das südkoreanische Gwangju-Massaker zum Anlass. Was sehen wir denn da? Setzt sich die Wirklichkeit erst im Zeitverlauf und der Rückschau wieder zusammen, und bleibt dabei fraktal?