Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Laura Flöter!
Als Laura Flöter mich gefragt hat, ob ich nicht Lust habe, zur Eröffnung ihrer Ausstellung hier im KUNSTRAUM NEUSS eine kleine Laudatio zu halten, habe ich mich sehr gefreut. Und habe sehr gern und sofort „Ja“ gesagt. Denn es geht hier um gute Kunst und eine Künstlerin, die eine sehr eigene Position vertritt.
Natürlich habe ich mich auf meine Einführung in die Kunst sorgfältig vorbereitet. Und bei meiner Recherche bin ich auf einen Text gestoßen, der inzwischen zwar 20 Jahre alt ist, aber nach wie vor gültig. Er ist von Walter Schmidt und hat den Titel: „Wie verhält man sich auf einer Vernissage? 10 goldene Regeln für Berliner Galeriebesucher.“
Da gibt es auch einen Hinweis zur Laudatio, den ich für Sie gern wörtlich zitieren möchte:
„(Die Laudatio) ist die größte Klippe für die gute Laune während einer Vernissage. Eine Laudatio auszuhalten, fordert dem Galeriebesucher allen verfügbaren Humor ab. Kunstexperten neigen bekanntlich dazu, weniger über die Gemälde an der Wand zu reden, als über die Malerei an und für sich, das Weltentheater, das Göttliche oder auch die Unendlichkeit. Fein aus dem Schneider ist, wer rechtzeitig zur Toilette entfliehen kann. Galerien ohne Toilette sind riskant.“
Nun, das Risiko ist hier überschaubar. Ich nehme an, Sie alle sind routiniert und haben sich im Vorfeld über die Räumlichkeiten kundig gemacht. Und ich verspreche Ihnen, über das Welten-theater und die Unendlichkeit spreche ich nicht, und unendlich lang wird es auch nicht.
„Fundstücke“
„Fundstücke“ ist der Titel dieser Ausstellung. Und der Name ist hier tatsächlich Programm. Was Sie hier um sich herum an den Wänden sehen, sind Laura Flöters „Fundstücke“. Und „Fundstücke“ haben wir hier gleich in mehrfacher Hinsicht. Fangen wir mal mit dem Arbeitsmaterial für Laura Flöters Material-Collagen an.
Denn tatsächlich sind Fundstücke bereits das Material, aus dem diese Collagen sind. In Laura Flöters Atelier gibt es gleich ein ganzes Regal mit einer Fülle von „Fundstücken“. Ein Sammelsurium von mehr oder weniger unsortiertem „Zeug“ aller Art. In Kisten mit den unterschiedlichsten Dingen, die irgendwann mal für irgendwen von Bedeutung waren, die aber über die Jahre „unnütz“ geworden und in irgendeiner Kiste gelandet sind.
Laura Flöter freut sich über diese „Fundstücke“, all den Krimskrams, der sich vielleicht auch bei Ihnen in Keller, Speicher, Garage oder Kinderzimmer angehäuft hat. Murmeln, Federn, kleine Spielzeugtiere aus Plastik, Schminkspiegel, Spielkarten, „Mensch-ärgere-dich-nicht“- Figürchen, Puzzle-Teile, Muscheln und Schneckenhäuser, sogar ein Bund Schlüssel, zu denen es kein Schloss mehr gibt. Oder ein kleines Glöckchen, das irgendwann zum Zeitvertreib in einem Papageien-Käfig hing.
Vielleicht gehören Sie ja zu den „Material-Spendern“ in unserer Runde? Erkennen Sie Ihre Fundstücke in Laura Flöters Arbeiten wieder? Schauen Sie sich mal ganz genau um.
Tatsächlich arbeitet Laura Flöter konsequent mit ausrangierten Materialien. Mit gebrauchten, oft (wieder)gefundenen Objekten.
Laura Flöter sagt selbst über ihre Arbeit: „Die Arbeit mit gebrauchten Gegenständen folgt der Logik einer Welt, in der Ressourcen immer schneller immer knapper werden. Wo auch die sogenannte Erste Welt sehr bald die Folgen eines verschwenderischen Umgangs mit den Rohstoffen unseres Planeten spüren wird, ist es geboten, das, was nicht mehr nützlich scheint, eines zweiten Blickes zu würdigen.“
Laura Flöter würdigt die Dinge, indem sie sie neu inszeniert. Was im Übrigen vielleicht auch den einen oder anderen „Material-Spender“ verblüfft, wenn er oder sie das eine oder andere ausgemusterte Spielzeug in neuem Kontext erlebt.
Da ist zum Beispiel dieses Flugzeug. Ist das immer noch „nur“ ein kleines Spielzeug oder vielmehr im neuen Kontext ein „richtiges Flugzeug“, das über eine rätselhafte wilde Landschaft fliegt? Eine Landschaft, die von Zebras und Dinosauriern bevölkert wird. Oder gar einem – im direkten Vergleich – riesenhaften Reptil, das gleichsam aus dem Rahmen zu fallen scheint. Da sind sogar verstreute Backenzähne. Wem haben die wohl einmal gehört? Und dann die Spielzeug-Krieger. Welche Schlacht schlagen sie wohl und gegen wen? Und wo ist der Kopf der kopflosen Barbie? Ah, da liegt er ja. Gar nicht weit entfernt. Vielleicht lässt sie sich ja retten.
Laura Flöter setzt vermeintlich Vertrautes in neue Sinnzusammenhänge und lädt uns alle dazu ein, uns eigene Geschichten auszudenken.
Laura Flöters Welten bieten viel Raum für Spekulation. Zumal der menschliche Geist tatsächlich „Angst vor der Leere“ hat. Den „Horror Vacui“ nicht aushalten mag. Es ist ein menschliches Bedürfnis, leere Stellen auszufüllen, und Unverbundenes zu verbinden. Und dann ist eben das Plastik-Zebra nicht mehr „einfach so“ im Drahtgespinst oder im Nagelgewirr unterwegs, sondern wohl in irgendeiner Steppe.
Vermutlich hat Laura Flöter nicht zuletzt einfach Freude am Rätsel, eben an dem nicht Abgeschlossenen, das sich erst durch den individuellen Betrachter verortet und bestimmt.
Assemblage. Collage. Welcher Kleber hält die Welt im Rahmen?
Laura Flöters überbordende Material Collagen machen ihrem Namen alle Ehre. „Collage“ kommt von „kleben“ (französisch „coller“), und tatsächlich muss Laura Flöters Klebstoff „ganze Arbeit“ leisten, um die Anhäufung all’ der Materialien im Bild zu halten. Eine Fülle von winzigen Dingen liegt in mehreren Schichten auf dem Untergrund, und bleibt bisweilen nicht einmal im Rahmen, sondern flutet an der einen oder anderen Ecke über den definierten Rand. Kurzum, Laura Flöters Arbeiten wiegen richtig schwer.
Laura Flöters Welt entsteht mit dem Untergrund. Die Leinwand ist bei Laura Flöter an vielen Stellen nicht allein der Untergrund, sondern ein eigenständiger Protagonist. In seiner materiellen Qualität erkennbar, und bisweilen selbst in Schichten aufgebaut. Leinwand-Stücke sind mit teilweise darüber liegenden Fetzen und Ausschnitten mit groben Nadelstichen vernäht.
In dieser Ausstellung hier im KUNSTRAUM NEUSS sind Arbeiten präsentiert, die teilweise tatsächlich auf älteren Arbeiten aufbauen. Und zwar im Wortsinn „aufbauen“. Denn die Überarbeitungen dieser älteren Arbeiten ist nicht „flächendeckend“, sondern lässt gewissermaßen Gucklöcher in die Vergangenheit. Sie dokumentieren auf diese Weise nicht zuletzt Laura Flöters künstlerischen Werdegang.
Laura Flöter kommt aus der Malerei. Davon zeugt eine große, ältere Arbeit, die Laura Flöter hier für Sie mitgebracht hat, weil sie durchaus noch Gültigkeit hat. Eine Arbeit auf Leinwand, gestisch, assoziativ, und dann – an einer Stelle – sehr konkret und genau. Mit einem kleinen architektonischen Element, das das riesige rot-schwarze Farbfeld zu einer Landschaft werden lässt. Vielleicht eine trutzige Burg in den Felsen eines Gebirges.
Die Leinwand hat Laura Flöter mit den neueren Arbeiten nicht verlassen, aber sie ist mehr als der Untergrund für die Arbeit, die darauf in die Höhe wächst. Und einen äußeren Rahmen als Begrenzung gibt es immer noch. Allerdings wird der teilweise gesprengt, und hält nur noch das Nötigste, verstärkt mit Nagel, Nadel und Faden.
Mit Nadel und Faden signiert und datiert Laura Flöter ihre Arbeiten übrigens auch. Mit groben Stichen steht hier das Entstehungsdatum in einer Ecke. Und das ist dann auch gleichzeitig der Titel der Arbeit. Darüber wird die Arbeit dann eindeutig definiert. Das ist ganz neutral und objektiv.
Die eine oder andere Arbeit hat zwar noch einen „sprechenden“ Namen, quasi als Arbeitstitel, auf Laura Flöters Website, oder im Rahmen einer Ausstellungspräsentation. Einfach zur besseren Orientierung in der Bildfülle. Diese Titel sind allerdings für Laura Flöter nachrangig (ich habe sie dazu befragt!), aber es ist für mich einfach zu verlockend. Und ich muss jetzt einen dieser „sprechenden Namen“ auch mal in die Interpretation einfließen lassen. Nämlich:
„Wicked Wonderland“
„Wicked Wonderland“ ist so ein „sprechender“ Name für eine ganze Serie von teils großformatigen Material-Collagen. Einiges aus dieser Reihe hat Laura Flöter hier mitgebracht.
Ich glaube, kaum einer denkt hier nicht an „Alice in Wonderland“. Lewis Carrols Roman (1865) gilt zu Recht als eine literarische Ikone und steht auf vielen Listen mit „Büchern, die man gelesen haben muss“. Die Verstrickungen von Logik, Unlogik und unauflöslichen Paradoxien in Alice‘ Abenteuern im Wunderland bieten bis heute eine Fülle von künstlerischen Inspirationen. In Literatur, Musik, Film und bildender Kunst.
Alice folgt dem sprechenden weißen Kaninchen in den verwinkelten Bau und gerät in eine wunderliche Welt mit absonderlichen Figuren, in der Absurditäten und Widersprüche ihre ganz eigene neue Logik ergeben. Freundlich ist diese Welt tatsächlich nicht, aber immer höchst unerwartet. Konsequent vielleicht nur in der Unmöglichkeit, sich mit einer einzigen Interpretation „abschließen“ zu lassen.
In Laura Flöters „Wonderland“ spielen das Unerwartete, neu Verknüpfte, nicht Aufgelöste eine bedeutsame Rolle. Laura Flöter kombiniert teils winzige Alltagsobjekte aus verschiedensten Materialien, die vielschichtige Haufen bilden, aber auch Freiflächen lassen, zu organisch anmu-tenden Bildskulpturen. Sorgsam gesetzte Farbe, die dumpf und grau sein kann, aber auch kraftvolle bunte, teils grelle Akzente setzt, trägt maßgeblich dazu bei, das vielleicht auf den ersten Blick Unverbundene zusammen zu bringen. Bei Laura Flöter gehen „Wonderland“ und „wicked“ in einer klangvollen Alliteration eine rätselhafte Verbindung ein. „Wicked“, das ist ein viel-schichtiges Adjektiv: Böse, schlimm, gefährlich, aber auch verrucht, raffiniert und verführerisch, bisweilen sogar anerkennend „super“, „krass“ oder „scharf“. Ein höchst schillernder Begriff, also. Und ohne Kontext ist er so gar nicht eindeutig.
Laura Flöters Kunst als Wunderkammer
Nicht nur bei meinem Besuch in Laura Flöters Atelier, sondern auch bei der Betrachtung ihrer Arbeiten musste ich an eine Wunderkammer denken. An das Stöbern in versteckten Schubladen, in Schränken mit symbolträchtigen Ornamenten. In einem geheimnisvollen Kunstkabinett, das Naturalien nicht von Artefakten oder Kunst vom Handwerk trennt.
Laura Flöter verdichtet in ihren Arbeiten Dinge aller Art in ein dicht gewebtes, spannungsvolles, bisweilen abstrus anmutendes Netz von Kuriositäten. Die Welten von Laura Flöter sind mysteriös. Vielleicht sogar ein wenig düster? Nur, wenn Sie das in ihrem Kopf zulassen. In jedem Fall erzeugen Sie alle Ihre eigenen Bilder und Geschichten, eben weil wir „Leerstellen“ kaum aushalten. Wir entwickeln in unserer Vorstellung ein Narrativ, um dem vermeintlichen Chaos eine Struktur zu geben. Man will all’ die mutmaßlichen Chiffren entziffern. Denn wir hätten gern ein paar Antworten. Warum sitzt da Sponge-Bob, wohin fliegen die kleinen Flugzeuge? Ist dahinten ein Horizont? Wer wird mit dem kleinen Glöckchen herbeigerufen? Was schließen all’ die Schlüssel auf? Oder zu?
Schließen Sie Laura Flöters Wunderkammern doch einmal mal auf. Stöbern Sie, spekulieren Sie, assoziieren Sie, verknüpfen Sie, entdecken Sie!
Und das Schöne an diesem Abend ist: Sie sind ja nicht allein. „The artist is present“, „Die Künstlerin ist anwesend“. So hieß es schon bei Marina Abramovic.
Laura Flöter ist anwesend. Lernen Sie eine Person kennen, die ebenso vielschichtig ist wie ihre Kunst.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel Vergnügen!
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