Webkunst aus „schlaffen Fäden“? Ganz und gar nicht!
Webarbeiten. Na ja, zugegeben, das klingt auf den ersten Blick nicht gerade sonderlich aufregend. Manch einer denkt vielleicht auch mit namenlosen Unbehagen an die unzähligen krumm gewebten Telefon Unterdeckchen oder Tischläufer zurück, die mehr oder minder enthusiatisch als Bastelarbeit im Kindergarten oder der Grundschule entstanden sind.
Fairerweise muss man sagen, dass Anni Albers selbst auch anfangs keine sonderlich hohe Meinung von dieser handwerklichen Arbeit hatte. Tatsächlich wurde sie, die mit 23 Jahren eine künstlerische Ausbildung am Weimarer Bauhaus aufnehmen wollte, erst mal an den Webstuhl gesteckt. Sie selbst wollte malen, aber für Frauen hatte das Bauhaus nur die Ausbildung in der Töpferei, der Buchbinderei oder eben der Textilwerkstatt vorgesehen.
„Das Schicksal hat mir schlaffe Fäden in die Hand gegeben.“ meinte sie anfangs ziemlich frustriert. Ihre anschließende höchst engagierte und kreative Auseinandersetzung mit dem Thema hat über fünf Jahrzehnte lang eine beeindruckende Zahl vielseitiger Arbeiten hervorgebracht.
„Textil“ und „Kunst“ in höchster Vollendung
Anni Albers erste Inspiration waren Farblehre und Geometrie von Paul Klee, ihrem Lehrer aus dem Vorkurs. Sie übersetzte seine graphischen Kompositionen in Stoffe und Wandteppiche. Sie entwarf brillante Muster und kontrastreiche Strukturen, ganz im Sinne des Bauhauses, als perfekte Harmonie von Dekoration und Nutzen. So war ihre Diplomarbeit auch eine schalldämpfende Wandbespannung für die Aula der Bundesschule des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau.
Mit ihrem Mann Josef Albers, den sie am Bauhaus kennengelernt hatte, emigrierte sie 1933 in die USA. Dort lehrte sie am Black Mountain College, das, vom konzeptionellen Ansatz ganz ähnlich wie das Bauhaus, Wissenschaft, Kunst und Handwerk als gleichrangige Elemente eines gemeinschaftlichen kreativen Prozesses sah. Auf zahlreichen Reisen nach Mittel- und Südamerika liess sich Anni Albers von traditionellen Techniken und Mustern inspirieren, die sie in ihre Werke einfliessen ließ. Die eigentliche handwerkliche Webtechnik erlebte sie allerdings zunehmend als eine technische und gestalterische Beschränkung. Sie überwand diese Grenze in ihren experimentellen Zeichungen und graphischen Arbeiten mit abstrakten, geometrisch entwickelten Mustern, die sie auch in ihrer Arbeit als Industrie Designerin für Florence Knoll und Sunar Textiles umsetzte.
Alltagsdesign? …. bei Anni Albers ganz und gar nicht alltäglich
Der Gang durch die Anni Albers Werkschau im Düsseldorfer K20 verändert tatsächlich den Blick, öffnet ihn vielmehr, also quasi „auf den zweiten Blick“. Für das Material, die Farbigkeit, die eigentliche Struktur und Haptik, Glanz und Mattigkeit, die wechselnde Stärke der unterschiedlichen Fäden. Für traditionelle Natur- und innovative Kunstfasern, für den feinen Silberfaden, der keinen „praktischen“ Nutzen hat, aber einen wichtigen Akzent setzen kann. Und für die Hochachtung, die Anni Albers selbst ihrem Material entgegen gebracht hat.
„Kreativität ist nicht so sehr der Wunsch, etwas zu tun, sondern darauf zu hören, was getan werden will: auf das, was die Materialien vorgeben.“ Anni Albers hat ganz genau zugehört. Ihr Blick für ihr „Material“ und dessen Möglichkeiten war tatsächlich „wach“ und äußerst assoziativ. Wie könnte sonst etwa aus einem Abfluss Sieb mit Büroklammern ein schmuckvolles Collier entstehen?
Lassen Sie sich inspirieren! Und ja, irgendwie liegt die Schöpferkraft tatsächlich in der Familie. Zeitgleich zur Anni Albers Ausstellung, zeigt die Villa Hügel in Essen mit „Interaction“ Arbeiten ihres Mannes, Josef Albers.