Mal ohne „Schrei“. Edvard Munch in Düsseldorf
Wer „Edvard Munch“ sagt oder hört, der sieht den „Schrei“. Das ikonische Gemälde, das in mehreren Fassungen existiert, und wohl mit Abstand das bekannteste Werk des norwegischen Malers ist, ist inzwischen sicher als ein fester Bestandteil in unserem kollektiven Gedächtnis angekommen und wird weltweit millionenfach zitiert. Auch als Abdruck auf Kalendern, T-Shirts, Regenschirmen, Kaffeetassen und Mouse Pads. Sogar als Emoji. Schon so oft gesehen, reproduziert und zitiert, dass man es womöglich gar nicht mehr unmittelbar und unvoreingenommen wahrnehmen kann, weil sich allzu viele Vor-Urteile davorgeschoben haben.
„Der Schrei“ fehlt allerdings in der Düsseldorfer Ausstellung, ebenso wie eine ganze Reihe der übrigen bekannteren Werke von Edvard Munch, der in seinem Leben über 1.700 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken geschaffen hat. Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgard, der diese Munch Ausstellung kuratiert hat, ist ganz bewusst auf selten oder gar nie öffentlich gezeigte Arbeiten des Malers gegangen.
Die 138 präsentierten Werke kommen mehrheitlich aus dem Depot des Osloer Munch Museums. Und sie zeigen zwar nicht den „unbekannten“ Munch, aber sicherlich die deutlich weniger bekannten und berühmten Werke des Malers. Und es gilt, diese Arbeiten tatsächlich selbst zu entdecken, selbst herauszufinden, was man sieht und welchen Eindruck es macht. Das K20 Museum verzichtet auf Wunsch des Kurators auf eine Beschilderung. Eine Art Richtschnur bietet allein die Gruppierung in vier thematische Räume, die auch farblich deutlich voneinander abgesetzt sind.
Vier Räume
Der erste Raum heißt „Licht und Landschaft“. Das große Gemälde „Die Sonne“ (1912) leuchtet einem da gleich zu Beginn entgegen. Sie überströmt das Meer und die Küstenfelsen in gleißend helles Licht. Landschaften, Gärten, Blumen, Äcker zeigen viel Helligkeit und Heiterkeit, und Munchs offenkundige Freude am Umgang mit der Farbe.
Der zweite Raum ist in hellem leicht gelb-stichigen Grün gestrichen und heißt „Wald“, und hätte diesen Begriff als Beschreibung gar nicht gebraucht. Mit über 50 Arbeiten demonstriert Edvard Munch hier dicht an dicht, wie ein immer gleicher Wald aussehen kann. Knorrige Baumstämme, wulstige Wurzeln, spindeldürre Äste und schattiges Grün. Menschen sind in diesen Bildern kaum zu sehen. Mit Ausnahme von zwei männlichen Akten im Wald, ganz zum Abschluss des Raumes.
„Chaos und Kraft“ ist der dritte Raum. Gemälde und teils kolorierte Holzschnitte. Und hier sind wieder viele Menschen zu sehen. Oft in unglücklichen, gar aussichtslosen Lebenssituationen. Weinend, traurig, betrunken. Wie „Der Tod des Bohemiens“, der gleich in mehreren Varianten zu sehen ist. Aber auch eng umschlungen Liebende finden sich hier.
Mit „Die Anderen“ schließt diese Munch Schau ab. Hier gibt es Portraits, teils lebensgroß und höchst verschieden, so wie Menschen eben sind. Die eng aneinander gereihten Bilder scheinen zahllos. Es sind über vierzig Arbeiten, nebenbei bemerkt. Die „feine Gesellschaft“ ist ebenso zu sehen wie die Dienstboten seiner Zeit. Munch zeigt Männer, Frauen und Kinder. Menschen, denen Munch in seinem Leben begegnet war. Berühmten und ganz und gar unbekannten Zeitgenossen. Nachbarskindern ebenso wie dem Direktor der Osloer Nationalgalerie, einem Schauspieler vom Berliner Max-Reinhardt-Seminar oder dem norwegischen Konsul. Und auch ein paar Selbstportraits sind dabei.
Munch. Kommt auch mal ohne den „Schrei“ aus
Warum sich diese Ausstellung lohnt? Es geht eben nicht darum, einen der großen Wegbereiter der klassischen Moderne „abzuhaken“, als sonntäglicher Bildungsausflug, mit dem Kunstführer in der Hand. Es geht auch nicht darum, einen „anderen“ Munch kennenzulernen als den Maler der ikonischen Werke „Der Schrei“ oder „Das kranke Kind“. Diese Werke sind „Weltwissen“, und wohl so ziemlich jedem ein Begriff. Und sei es als Kalenderdruck, T-Shirt, Kaffeetasse oder Schlüsselanhänger. Diese Kunstausstellung kommt eben ohne diese Meisterwerke aus. Und das entlastet sie irgendwie auch. Denn man kann schauen, ohne schon eine vorgefertigte Sichtweise und „Lesart“ im Kopf zu haben. Zu einem anerkannten „Meisterwerk“ gehört eben immer auch schon die mehr oder minder einheitliche Sichtweise und Einordnung aus einem Standardwerk der Kunstgeschichte. Munch hat in seinem Leben fast 1.800 Bilder gemalt. Die Ausstellung lädt dazu ein, den Künstler Edvard Munch als facettenreichen Menschen zu entdecken. Es geht vielmehr darum, in der eigenen Betrachtung und ganz unmittelbar für sich zu entdecken, dass diese Ikone der modernen Kunstgeschichte auch heiter sein konnte, lebendig, fröhlich und leicht, und bisweilen auch ein wenig banal und alltäglich. Viel Vergnügen!