Von starken Kindern, bunten Blumen, nachdenklichen Erwachsenen und abstrakten Klammern
Ein kleines Mädchen sitzt inmitten von fast psychedelisch bunten Blumen und Schmetterlingen. Sie schaut selbstversunken auf den winzigen Vogel, der sich auf ihrer Hand niedergelassen hat. Sie genießt ganz einfach einen wunderbaren Moment. Die französische Künstlerin Jamila Hamaida aka Floya Jam hat in schillernd bunten Farben einen friedlichen Augenblick festgehalten. Die starke Arbeit leuchtet im Dunkel des Bunkerraums, angestrahlt von großen Strahlern, ebenso wie auch all‘ die anderen Streetart Kunstwerke.
Und Floya Jams Arbeit ist nur ein Beispiel dafür, was ein „Schutzraum“ sein kann, und welche Assoziationen so ein ungewöhnlicher Kunst Ort, nämlich ein Bunker, mit sich bringt. Nicht nur physisch, als ein Raum, der Menschen schützend umgibt, sondern auch psychisch. Als eine Art von seelischem Rüstzeug und eine innere Welt, um sich in einer oft bedrohlichen Außenwelt zurechtzufinden. Der Krefelder Hochbunker in der Hansastraße ist nicht nur ein ganz besonderer Ort, sondern aktuell ein Kunstraum für Streetart. Und es sind sehr persönliche Bilder geworden. Optimistisch und leuchtend, oder nachdenklich und in sich gekehrt, bisweilen auch eher bedrohlich. Meist figurativ, oder aber ganz abstrakt. Die Inspiration durch den Raum hat höchst individuelle Ergebnisse gebracht.
Streetart. Was ist das eigentlich ganz genau?
Eine allgemeine Beschreibung ist nicht ganz so einfach. Denn Streetart ist facettenreich, so bunt und vielfältig, wie die vielen brillanten Farben, mit denen sie gemacht ist. Sie erobert den öffentlichen Raum, ist unmittelbare Kommunikation, richtet sich buchstäblich an alle, die vorbeikommen. Als Bild oder als Graffito. Anonym, unter einem Pseudonym oder auch mit dem eigenen Namen. Da gibt es Künstlerinnen und Künstler, die kennen nur Eingeweihte, und andere, die kennen inzwischen die ganze Welt.
Die Botschaften sind direkt, oft voller explosiver Energie, in satten Farbschichten und intensiven Tönen. Ganz klein, aber viel öfter riesig groß. Sie springen direkt ins Auge. Sind komisch, skurril, politisch, explizit oder kryptisch, technisch oft höchst versiert. Mal mit einer Botschaft, mal „einfach so“. Gemalt, gesprüht, geklebt oder als Stencil mit der Schablone an die Wand gebracht. Oft erscheinen sie über Nacht, und sind dann keinesfalls bestellt. Und sie werden, nicht allein deshalb, oft sehr kontrovers diskutiert.
Die Künstlerinnen und Künstler, deren Arbeiten gerade als „Down Town Gallery“ im Krefelder Bunker zu sehen sind, hat Fredda Wouters explizit zu diesem Gemeinschaftsprojekt eingeladen. An einem ungewöhnlichen Ort: einem Schutzraum für die Menschlichkeit.
„Ein Schutzraum für die Menschlichkeit“
Kuratiert von der Streetart Künstlerin Fredda Wouters haben insgesamt 21 lokale und internationale Künstlerinnen und Künstler, von Mönchengladbach bis Mexiko, die Bunker Räume für sich erkundet und ihre persönlichen „Schutzraum“ Vorstellungen an die Wände gebracht. Und zwar an eben die Wände, die sie vorfinden. Mit allen Ecken und Kanten, und den inzwischen verblassten Durchnummerierungen für die Parkplätze, die es hier einmal gab. Und so arbeitet Ruben Poncia in „Reflex“ auch spielerisch eine bereits vorhandene Neonröhre ein. Sie wird zu den glühenden Augen eines Adlers, der quasi Torwächter seiner Bildidee ist. Eine weitere Verschachtelung einer illusionistischen dreidimensionalen Arbeit. Mit einem Punkt am Boden, der markiert, wo man denn stehen muss, um die Magie in 3D zu erleben.
Kurzum, die Künstlerinnen und Künstler zaubern mit sämtlichen Mitteln ihrer Kunst. Sie waren mit Markern, Pinseln und Malerrollen, Sprühdosen und Aufklebern am Werk. Vermutlich war während der eigentlichen Entstehung dieses Gesamtkunstwerks die Luft von Farbdämpfen „zum Schneiden dick“. Und das Ergebnis? Lohnt sich sehr. Denn höchst unterschiedliche Künstler, sowohl technisch als auch inhaltlich, bringen nicht nur ihre Ideen zu diesem Ort an die Wände, sondern gestalten eine Art riesiges Gesamtkonzept mit verschiedensten Facetten. Von hochgradig abstrakt bis illusionistisch dreidimensional. Bilder, in die man als Betrachter „eintauchen“ kann.
Ein Gemeinschaftsprojekt
Die Künstlerinnen und Künstler haben sich bei ihrer Arbeit gegenseitig inspiriert. Und da konnte es dann auch sein, dass einer, der eigentlich nur sprüht, auch mal zum Pinsel oder zur Rolle gegriffen hat. Oder umgekehrt. Es gibt nicht allein formale Klammern, wie beispielsweise die in Graffiti Kalligraphie erstellten Werktitel, und die gesprayten, barock anmutende Vignetten an den Säulen, mit den Namen und den Ursprungsländern der einzelnen Künstlerinnen und Künstler, sondern auch die teils äußerst überraschenden inhaltlichen Querverweise und Dialoge.
So findet sich ein sehr selbstbewusstes und optimistisch dreinblickendes kleines Mädchen im gepunkteten Pullover, das Carlosalberto, in den Mittelpunkt seiner Arbeit „A Future that breathes“ stellt, eine Bunker Etage tiefer in der Arbeit von Jarek Masztalers wieder. Case Maclaim malt mit „It’s that time again“ einen Mann, der sich eine Bombe ans Ohr hält und zuhört, wie die Lunte bereits zischt. Und der sieht ein wenig so aus, wie sein Künstlerkollege, der das Nachbarbild gestaltet hat.
Ein Haus als Schutzraum
Die Stadt Krefeld hat sich in diesem Jahr der Baukultur verschrieben, stellt unter Beweis, dass Gebäude viel mehr sind als vier Wände und ein Dach. Unter dem Stichwort „Perspektivwechsel“ geht es darum, die verschiedenen Orte der Stadt zu erleben, vielleicht auch neu und anders zu entdecken. Gerade auch die Orte, die ansonsten nicht im Fokus sind: unspektakulär, oder einfach zu abgelegen. Vielleicht auch eine „Bausünde“, ein ästhetisch, politisch oder sonst wie misslungenes Bauvorhaben, das wie eine Art Mahnmal für vermeintliche Fehlplanung oder Unzulänglichkeit in der Architektur der Stadt verankert ist. Oder aber ein Ort, mit dem es eine ganz besondere Bewandtnis hat.
Der Krefelder Hochbunker an der Hansastraße ist so ein Ort, der sicher noch den Köpfen der älteren Krefelderinnen und Krefelder einen bedeutsamen Platz hat. Denn während des Krieges haben hier 1942 über zwölftausend Menschen gelebt und Schutz gefunden. Ein Schutzraum, also. Mitten in der Stadt. Direkt neben dem Hauptbahnhof. Nach dem Krieg ging diese schützende und lebensrettende Funktion verloren. Zunächst war die Umwandlung in eine Großgarage geplant, dann sollte das Mahnmal mit Efeu kaschiert und versteckt werden. Das Gebäude wurde bunt bemalt, später um weitere Parkplätze erweitert. Musiker hatten hier ihre Probenräume, es sollte Teil eines Kinokomplexes werden. Heute gehört es einem Bauinvestor, steht derzeit leer. Und erinnert die, die sich erinnern lassen, immer noch an die dunkle Zeit des Krieges.
Die Bunkerführungen zur Geschichte dieses Hauses, die zusammen mit dem Kunstprojekt stattfinden, sind eigentlich immer sofort ausgebucht. Nicht nur von den Menschen, die sich erinnern und vielleicht selbst hier gelebt haben, sondern auch von denen, die wissen wollen, wie das war, und die der Geschichte an einem Erinnerungsort auf den Grund gehen wollen.
Perspektivwechsel
Der Narrativ eines Schutzraumes besteht nach wie vor, egal, welche Nutzung oder Nicht-Nutzung das Gebäude gerade erfährt.
Mit dem Streetart Projekt „Down Town Gallery“ wird der Hochbunker temporär zu einem Kunstort, regt zum „Perspektivwechsel“ an. Und der bildet tatsächlich auch den zum Bild und Text gewordenen Schlusspunkt der Ausstellung. Fredda Wouters hat in Anlehnung an einen Text von Paul M. Zulehner ein Schlusswort verfasst und an die Wand gebracht, das man vorwärts und rückwärts lesen kann. Die Botschaft ist pessimistisch und negativ, oder aber optimistisch und voller Mut. Die Lesart entscheiden Sie selbst. Eben alles eine Frage der Perspektive.
Es gibt viel zu entdecken. Kommen Sie, gucken Sie und staunen Sie. Und die informativen Führungen, zur Kunst, aber auch zum Bunker selbst, sind eine echte Empfehlung. Noch bis Ende September, jeden Freitag und Samstag.