Alte Bekannte
Immer, ausnahmslos immer, wenn ich im Kölner Wallraf-Richartz-Museum bin, gehe ich ihn besuchen. Schon als Kind, wenn ich mit meiner Großmutter auf Museumstour war. Ein Traditionstermin, einmal im Monat, mit anschließendem Kakao Trinken im Café Wahlen am Hohenstaufen Ring.
Inzwischen sind wir alte Bekannte und recht gute Freunde, auch wenn ich sein Geheimnis immer noch nicht enträtselt habe. Aber vielleicht gehört das zu dieser besonderen Freundschaft einfach mit dazu. Um wen es geht? Rembrandt Harmenszoon van Rijn (*1606 in Leiden; †1669 in Amsterdam), weitaus besser bekannt unter seinem Vornamen Rembrandt. In diesem Jahr jährt sich der Todestag des großen Künstlers zum 350sten Mal, Anlass genug für viele Museen in aller Welt, zum „Rembrandt Jahr“ auszurufen, und ihn mit zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen zu feiern. Bereits zu seinen Lebzeiten war Rembrandt ein gefeierter Star. Berühmt als Maler, Zeichner und Radierer. Mit einer großen Werkstatt und einem großen Talent, und einer höchst wechselvollen wirtschaftlichen Situation. Zwischen lukrativem Kunstimperium und völliger Überschuldung war in seinem Leben wohl alles dabei.
Neue Geheimnisse
Genau genommen geht es mir hier um eines seiner vielen Selbstportraits, das in der Barock-Abteilung des Wallraf-Richartz Museums hängt. Nämlich sein „Selbstbildnis mit Malstock“ von 1663/64. Diese Arbeit wird auch „Selbstbildnis als Zeuxis“ genannt, und galt tatsächlich lange Zeit als Darstellung als Demokrit. Und da deutet sich das nach wie vor ungelöste Geheimnis um dieses Bild auch schon an. Rembrandt hat sich Zeit seines Lebens selbst gemalt, und so haben wir eine gute Vorstellung davon, wie er sich mit zunehmendem Alter veränderte. Er stellte sich gern in verschiedenen Rollen dar, ausgestattet etwa mit besonderer Kleidung und Gegenständen, die eine Geschichte erzählen sollten.
In diesem Selbstportrait ist er schon ein alter Mann. Das Bild ist in dicken Schichten mehrfach übermalt. In Rembrandts Gesicht lassen sich die vielen Übermalungen noch erahnen. Etwa über den Augen in den Brauen. Er hält seinen Malstock, trägt eine Mütze und hat einen goldenen Schal umgelegt. Um den Hals trägt er eine Kette mit einem Anhänger, am Ohr blitzt wohl ein kleiner Ohrring. Typisch Rembrandt, ist der Umgrund des Bildes im Dunkeln. Chiaro – Scuro. Rembrandt war ein Meister des Hell-Dunkel-Kontrasts. Am linken Bildrand ist vage eine Figur erkennbar. Wer das ist? Diese Frage ist bis heute unbeantwortet. Viele Forscher haben sich über Rembrandts Gesichtsausdruck angenähert. Aber wie schaut er eigentlich? Amüsiert er sich? Lächelt er? Worüber?
Bei Röntgen Untersuchungen wurde festgestellt, dass Rembrandt in einer früheren, dann übermalten Version des Bildes nur lächelte und nicht lachte. Und gerade sein Gesichtsausdruck ist „Anker“ und Ausgangspunkt für die vielen Interpretationen zwischen Demokrit und Zeuxis. Demokrit galt in der Antike als der lachende Philosoph, aufgrund seiner „Lehre von der Wohlgemutheit“ als dem höchsten Gut. Mit der Interpretation als Demokrit war auch die Deutung verbunden, dass Rembrandt sein Altern positiv betrachtete. Andere Forscher kommen zu dem Schluss, dass dieses Bild jedoch Zeuxis von Herakleia darstellt, der, so heisst es, beim Malen eines Porträts einer hässlichen Frau an einem Lachanfall starb.
Warum ich das erzähle?
Rembrandt ist ganz offenbar einer der Künstler, deren Werk bis heute viele Fragen aufwirft. Und der bis heute eine starke Wirkung hat. Nicht umsonst treibt Rembrandt bis heute nicht allein die Kunstwissenschaft um. So haben amerikanische Forscher der Carnegie Mellon University in Pittsburgh unlängst vermeintlich Rembrandts Stimme rekonstruiert, und zwar anhand der vielen Selbstportraits, die ja auch Aufschluss geben über Rembrandts Körperlichkeit, also seinen Stimmkörper mit Kopf- und Lungenvolumen sozusagen. In sechs „Rembrandt Tutorials“ spricht im Ergebnis der Meister über seine Maltechnik. Und zwar im Niederländisch des 17. Jahrhunderts. Was sonst.
Das Wallraf-Richartz-Museum seinerseits sammelt etwa derzeit Souvenirs und Rembrandt-Kuriositäten in Vorbereitung auf eine große Rembrandt Schau zum Jahresende. Vom Bierdeckel über die Zahncreme, oder der Spielkarte, der Krawatte bis zur Delfter Kachel und dem Radiergummi. Oder der Playmobil Version der „Nachtwache“. Das kuriose Sammelsurium wird von Tag zu Tag größer. Es ist in einer Vitrine, schräg gegenüber von Rembrandts Selbstportrait ausgestellt. Die gemeinsame inhaltliche Klammer dieser Raum-Installation? Der Name „Rembrandt“.
Warum ich das alles erzähle? Weil mir gefällt, dass ein altes Bild bis heute so viele Rätsel aufgeben kann. Und dass man bisweilen mit dem Wissen um antike Mythen und Sagen, mit Nachschlagewerken und Ikonologien, mit Quellenstudien und Röntgen Technologie auch nicht so recht vollends „hinter die Kulissen“ gucken kann. Dass man nicht jedes Bild komplett entschlüsseln kann, zumindest nicht unumstößlich und eindeutig, sondern vielmehr immer wieder aufs Neue Freude daran hat, zu schauen, zu rätseln und vielleicht für sich zu ergründen, was ein Bild wohl meinen könnte. Ich gehöre tatsächlich zu den „Museums-Wiedergängern“, besuche häufig nur ein einzelnes Bild, und entdecke dann und wann für mich etwas Neues. Auf meinen nächsten Besuch bei Rembrandt freue ich mich schon. Ich bin sicher, er lächelt mir zu.
Rembrandt, Selbstbildnis mit Malstock. In der Ständigen Sammlung des Wallraf-Richartz Museums, Köln