Höchste Zeit
Dreissig Jahre seit dem Mauerfall hat es gebraucht, die Kunst in der DDR in dieser Form im „alten“ Westen zu präsentieren. Tatsächlich ist die Überblicksschau die erste Museumsschau dieses Formats im Rheinland. Einmal abgesehen von einer Schau in der Bonner Kunsthalle, die 2004/05 von der Berliner Nationalgalerie übernommen worden war. Also ziemlich überschaubar, bis hierin und jetzt.
Die Düsseldorfer Ausstellung im Museum Kunstpalast will das ändern, und den Blick öffnen für eine Kunstlandschaft, die sich eben doch nicht mit den vermeintlich immer noch gängigen (Vor)urteilen pauschal bewerten ließe. Und auch nicht nur auf einen singulären politisch-gesellschaftlichen Kontext und eine Geschichte reduzieren.
Worum geht‘s
Um Utopie und Untergang. In Bildern. Zumindest liegt der Schwerpunkt auf der Malerei. Am Beispiel von dreizehn künstlerischen Positionen zwischen „staatstragend“ und subversiv, von Zustimmung bis zur inneren – und äußeren! – Emigration zeigt sich, wie facettenreich die Kunstlandschaft in der DDR war. Eben sehr viel mehr als der offiziell flächendeckende sozialistische Realismus mitsamt seiner Staatskünstler, die zu DDR Zeiten tatsächlich nicht zuletzt auch Exportschlager (und Devisenbringer) gewesen sind. Die Düsseldorfer Ausstellungsmacher erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Und es geht auch nicht um eine historisch-politische Aufarbeitung, sondern um eine ästhetische Reflexion. Allerdings wird den Umständen, unter denen diese Kunst entstanden ist, sicher Rechnung getragen.
Facettenreich und widersprüchlich
Es geht den Kuratorinnen und Kuratoren darum zu zeigen, dass die Kunstlandschaft in der DDR facettenreich und widersprüchlich war. Wo machbar (eben, weil sie lebende – und höchst lebendige! – Gegenwartskünstlerinnen und -künstler sind), auch im direkten Dialog mit den ausgestellten Künstlerinnen und Künstlern. Zum Beispiel Cornelia Schleime, Angela Hampel und Michael Morgner. Zwischen linientreu und konformistisch einerseits, bis hin zu systemkritisch bis rebellisch andererseits haben sich in der DDR über die Zeit veränderliche, teils sehr eigenständige ästhetische Positionen entwickelt. Mit sämtlichen Moden und Strömungen, sowie sie auch der internationale Kunstmarkt gezeigt hat. Aber eben unter eben den besonderen politisch-gesellschaftlichen-kulturellen Bedingungen, die durch eine starke, verpflichtende Kunstdoktrin und dem entsprechend hohen Druck auf die Kunstschaffenden geprägt waren.
Von Staatskunst bis „underground“. Menschen, deren Arbeiten ausgestellt wurden, und andere, deren Werk im Verborgenen entstehen musste. Der Kunstpalast will den Blick für eben dieses Spektrum öffnen. Gezeigt werden ausgewählte Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Generationen, die sich mit höchst unterschiedlichen Auffassungen ihrer Kunst und einem entsprechend eigenständigen Werk positionieren. In dreizehn Räumen werden dreizehn sehr unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler mit Arbeiten aus unterschiedlichen Jahren vorgestellt.
Wer wird gezeigt
Sowohl mehr oder weniger bekannte Namen als auch – zumindest hier im Rheinland und bei jüngeren Menschen, so mutmaße ich zumindest – vermutlich außerhalb der Kunstexperten Welt wenig bekannte Namen. So sind DDR „Aushängeschilder“ wie Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und Willi Sitte, die wohl nicht zuletzt seit der documenta 1977 auch im Westen für die nach außen getragene, offizielle DDR Kunst standen, hier ebenso vertreten wie Kunstschaffende der ersten Generation mit Elisabeth Voigt und ihrer ambivalenten Biographie. Oder Wilhelm Lachnit. Gerhard Altenbourg oder aber Hermann Glöckner, mit seinen gegenstandslosen Arbeiten, die seinerzeit mit der Formalismus Kritik „unter die Räder“ gekommen waren. Auch Carlfriedrich Claus, der seine mysteriösen Zeichnungen und rätselhaften „Sprachblätter“ in der DDR nicht zeigen konnte. Und der höchst experimentelle Michael Morgner, von dem der Kunstpalast bereits 1991 eine Arbeit für die eigene Sammlung gekauft hatte.
Neue Sehgewohnheiten
Aber auch Angela Hampel, die mit ihren farbstarken Frauenbildern Geschlechterrollen reflektiert und sehr nachdrücklich infrage stellt. Oder A.R. Penck mit seinen Strichmännchen und einem Zeichencode, der an Höhlenbilder erinnert. Er wurde 1980 ausgebürgert und war im Westen schon ein Star. Cornelia Schleime, die in der DDR nicht ausstellen durfte, und 1984 ausgewiesen wurde, allerdings – abgesehen von ein paar Blättern – ganz ohne ihre Kunstwerke, und die im Westen ganz neu anfangen musste.
Cornelia Schleime hat sich ihr verlorenes Frühwerk tatsächlich wieder „ermalt“, in Ermangelung von Geld, auch mit höchst kreativen Methoden, was das Material angeht. Zum Beispiel unter anderem mit Kaffeesatz, den sie sich zum Malen von einem türkischen Imbiss aus der Nachbarschaft geben ließ. Vermischt mit Leim und schwarzer Tusche. Cornelia Schleimes auf diesem Weg entstandene großformatige Arbeit „O.T.“ von 1986 ist erstmalig in einer Museumsausstellung zu sehen. In der Konsequenz hat die Künstlerin sich später übrigens auch ihre Stasi Akten geholt, um sie, quasi als eine vermeintlich „gesicherte“, vielmehr okkupierte Biographie, mit ihrer eigenen Kunst zu kommentieren. Eben damit hat sie sie demontiert, um sie sich eben genau auf diesem Weg wieder anzueignen.
Etwas zum Nachlesen
Wer nicht nur gucken, sondern auch lesen möchte, dem oder der sei der Katalog empfohlen. Begleitend zur Ausstellung ist ein lesenswertes Begleitbuch erschienen. Es verdeutlicht mit seinen dreizehn höchst unterschiedlichen Essays zu den einzelnen Künstlerinnen und Künstlern, dass es eben in der Ausstellung nicht um eine homogene „DDR Kunst“ offizieller Lesart, sondern eine heterogene „Kunst in der DDR“ geht. Und die entzieht sich in ihrer Komplexität mit all‘ ihren Ausprägungen oft den gängigen Dichotomien und vermeintlich „klärenden“ Schubladen Pauschalisierungen. Das zeigen auch die ausgewählten dreizehn Positionen und Künstlerportraits. Ja, es sind nur dreizehn! Sicher gibt es da noch viel mehr zu entdecken. Aber mit irgendeiner Auswahl muss man schließlich mal anfangen. Und nach dreißig Jahren wird es doch tatsächlich höchste Zeit, oder.
Also machen Sie sich doch mal selbst ein Bild. Und schauen Sie ganz genau hin! Denn es gibt hier Neues zu entdecken.
Viel Vergnügen!