Laura Flöter. Wasteland Villa
„Wasteland Villa“ heißt Laura Flöters Ausstellung bei uns. Ein provokanter Titel, der eine ganze Reihe von Assoziationen hervorruft. Brachland, Ödnis, Wüstenei. Kaum Vegetation. Eine Landschaft, die auf den ersten Blick wenig Vitales oder Nützliches zu haben scheint. Und irgendwo eine alte Villa. Wer da wohl wohnt? Wenn da überhaupt noch einer wohnt. Vielleicht einer dieser „lost places“. Aufgegebene Liegenschaften, deren ursprüngliche Nutzung in Vergessenheit geraten ist. Verfallene Orte, die genau aus diesem Grund dazu einladen, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen, zu erkunden, sich auf Spurensuche zu begeben. Selbst auf’s Neue vermessen, kartografieren, was hier wohl irgendwann einmal war. Aber noch viel mehr, was hier heute ist. Schauen wir doch mal genauer hin. Tatsächlich sind Laura Flöters überbordende Material Collagen mit einem höchst eigenwilligen Eigenleben ausgestattet. Und dabei äußerst lebendig. Das fängt bereits mit Laura Flöters Arbeitsmaterial an.
Fundsachen
Tatsächlich arbeitet Laura Flöter konsequent mit ausrangierten Materialien. Mit gebrauchten, oft (wieder)gefundenen Objekten. In Laura Flöters Atelier gibt es gleich ein ganzes Regal mit einer Fülle von solchen Fundstücken. Ein Sammelsurium von mehr oder weniger unsortiertem „Zeug“ aller Art. In Kisten mit den unterschiedlichsten Dingen, die irgendwann mal für irgendwen von Bedeutung waren. Sie sind über die Jahre „unnütz“ geworden, in irgendeiner Kiste gelandet. Dinge, die keiner mehr braucht, und die Laura Flöter umso besser gebrauchen kann. In den vielgestaltigen Welten, die sie auf der Bildoberfläche entstehen läßt. Laura Flöter bewahrt all’ diese Elemente, ganz behutsam und so, dass sie erkennbar bleiben, und stellt sie dabei in einen neuen Wirkzusammenhang.
Laura Flöter freut sich über all den Krimskrams, der sich vielleicht auch bei Ihnen in Keller, Speicher, Garage oder Kinderzimmer angehäuft hat. Murmeln, Federn, kleine Spielzeugtiere aus Plastik. Schminkspiegel, Spielkarten, Mensch-ärgere-dich-nicht Figürchen. Puzzle Teile, Muscheln und Schneckenhäuser, sogar ein Bund Schlüssel, zu denen es kein Schloss mehr gibt. Oder ein kleines Glöckchen, das irgendwann zum Zeitvertreib in einem Papageien Käfig hing.
„Zero Waste“. Ja, irgendwie auch das.
Laura Flöter sagt selbst über ihre Arbeit: „Die Arbeit mit gebrauchten Gegenständen folgt der Logik einer Welt, in der Ressourcen immer schneller immer knapper werden. Wo auch die sogenannte Erste Welt sehr bald die Folgen eines verschwenderischen Umgangs mit den Rohstoffen unseres Planeten spüren wird, ist es geboten, das, was nicht mehr nützlich scheint, eines zweiten Blickes zu würdigen.“
„Zero Waste“, also. In einer, zugegebenermassen ein wenig sperrigen, Definition heißt es: „Zero Waste ist ein ethisches, ökonomisches, effizientes und visionäres Ziel, das Menschen dazu bringt, ihre Lebensstile und Praktiken so zu verändern, dass sie nachhaltigen natürlichen Zielen nacheifern, in denen alle ausrangierten Materialien dazu dienen, Ressourcen für andere zu werden.“ (Zero Waste International Alliance, 2009). Nun, auch das ist Laura Flöter gelungen: „reuse“ (wiederverwenden) und „recycle“ sind zentrale Prinzipien bei der Gestaltung ihrer Arbeiten. Egal, ob es sich um ihre freistehenden Skulpturen, ihre Assemblagen oder Objektcollagen handelt. Die Übergänge zwischen den verschiedenen Sparten sind übrigens fließend. Laura Flöter würdigt die Dinge, indem sie sie neu inszeniert. Was im Übrigen vielleicht auch den einen oder anderen „Materialspender“ verblüfft, wenn er oder sie das eine oder andere ausgemusterte Spielzeug in neuem Kontext erlebt.
Der Kontext macht den Unterschied
Da ist zum Beispiel dieses Flugzeug. Ist das immer noch „nur“ ein kleines Spielzeug oder vielmehr im neuen Kontext ein „richtiges Flugzeug“, das über eine rätselhafte wilde Landschaft fliegt? Eine Landschaft, die von Zebras und Dinosauriern bevölkert wird. Oder gar einem – im direkten Vergleich – riesenhaften Reptil, das gleichsam aus dem Rahmen zu fallen scheint. Da sind sogar ein paar verstreute Backenzähne aus einem künstlichen Gebiss. Wem haben die wohl einmal gehört. Und dann die Spielzeug Krieger. Welche Schlacht schlagen sie wohl und gegen wen? Und wo ist der Kopf der kopflosen Barbie? Ah, da liegt er ja. Gar nicht weit entfernt. Vielleicht läßt sie sich ja retten.
Laura Flöter setzt vermeintlich Vertrautes in neue Sinnzusammenhänge und lädt uns alle dazu ein, uns eigene Geschichten auszudenken.
Laura Flöters Welten bieten viel Raum für Spekulation. Zumal der menschliche Geist tatsächlich „Angst vor der Leere“ hat. Den „Horror Vacui“ nicht aushalten mag. Es ist ein menschliches Bedürfnis, leere Stellen auszufüllen, und Unverbundenes zu verbinden. Und dann ist eben das Plastik Zebra nicht mehr „einfach so“ im Drahtgespinst oder im Nagelgewirr unterwegs, sondern wohl in irgendeiner Steppe.
Assemblage. Collage. Welcher Kleber hält die Welt im Rahmen?
Laura Flöters Welt ist tatsächlich eine höchst komplexe und vielgestaltige Angelegenheit. Bietet Raum für Spekulation. Vermutlich hat Laura Flöter nicht zuletzt einfach Freude am Rätsel, an dem nicht Abgeschlossenen, das sich erst durch den individuellen Betrachter verortet und bestimmt. Dabei sind die Dinge doch klar. Auf den ersten Blick zumindest. Schlüssel, Spielkarten, Würfel, Murmeln. Textfetzen, kleine Spielzeugtiere aus Plastik, Schneckenhäuser, Muscheln. Spiegelscherben, Spitzen- und Bordüren, Stoffreste, gar ein ganzer Wams, Perlen, ja sogar Knochen (sind das etwa abgenagte Spare Ribs?) und eine lockige Haarsträhne lassen sich in ihrem Assemblagen entdecken.
Laura Flöters überbordende Material Collagen machen ihrem Namen alle Ehre. „Collage“ kommt von „kleben“ (französisch „coller“). Und tatsächlich muss Laura Flöters Klebstoff „ganze Arbeit“ leisten, um die Anhäufung all’ der Materialien im Bild zu halten. Eine Fülle von winzigen Dingen liegt in mehreren Schichten auf dem Untergrund. Und diese Fülle bleibt bisweilen nicht einmal im Rahmen, sondern flutet an der einen oder anderen Ecke über den definierten Rand. Der Blick auf die sich überlagernden, teils mehrfach geschichteten, überraschend kombinierten und miteinander verwobenen Elemente ist eine Entdeckungsfahrt durch eine verrätselte Landschaft. Vertraute kleine Alltagsobjekte stehen in unerwarteter Nachbarschaft und wirken in der Gesamtschau wie eine Art von topographischer Studie einer Welt, die gleichermaßen vertraut und dabei höchst befremdlich ist. Kurzum, Laura Flöters Arbeiten wiegen richtig schwer.
Schicht auf Schicht. Mit Nadel und Faden
Die Leinwand ist bei Laura Flöter an vielen Stellen nicht allein der Untergrund, sondern ein eigenständiger Protagonist. In seiner materiellen Qualität erkennbar, und bisweilen selbst in Schichten aufgebaut. Leinwand Stücke sind mit teilweise darüber liegenden Fetzen und Ausschnitten mit groben Nadelstichen vernäht.
In dieser Ausstellung hier im Hotel Villa Meererbusch sind auch Arbeiten präsentiert, die teilweise tatsächlich auf älteren Arbeiten aufbauen. Und zwar im Wortsinn „aufbauen“. Denn die Überarbeitungen dieser älteren Arbeiten ist nicht „flächendeckend“, sondern lässt gewissermaßen Gucklöcher in die Vergangenheit. Sie dokumentieren auf diese Weise nicht zuletzt Laura Flöters künstlerischen Werdegang.
Laura Flöter kommt aus der Malerei. Die Leinwand hat Laura Flöter mit ihren Material Collagen nicht verlassen, aber sie ist mehr als der Untergrund für die Arbeit, die darauf in die Höhe wächst. Und einen äußeren Rahmen als Begrenzung gibt es immer noch. Allerdings wird der teilweise gesprengt, und hält nur noch das Nötigste, verstärkt mit Nagel, Nadel und Faden.
Mit Nadel und Faden signiert und datiert Laura Flöter ihre Arbeiten übrigens auch. Mit groben Stichen steht hier das Entstehungsdatum in einer Ecke. Und das ist dann auch gleichzeitig der Titel der Arbeit. Darüber wird die Arbeit dann eindeutig definiert. Das ist ganz neutral und objektiv.
Die eine oder andere Arbeit hat zwar noch einen „sprechenden“ Namen, quasi als Arbeitstitel, auf Laura Flöters Website, oder im Rahmen einer Ausstellungspräsentation. Einfach zur besseren Orientierung in der Bildfülle. Diese Titel sind allerdings für Laura Flöter eher nachrangig (ich habe sie dazu befragt!), aber es ist für mich einfach zu verlockend. Und ich muss jetzt einen dieser „sprechenden Namen“ auch mal in die Interpretation einfließen lassen. Nämlich: „Wicked wonderland“
„Wicked Wonderland“
Lewis Carrols „Alice in Wonderland“ (1865) gilt zu Recht als eine Ikone der philosophischen Literatur und steht auf vielen Listen mit „Büchern, die man gelesen haben muss“. Die Verstrickungen von Logik, Unlogik und unauflöslichen Paradoxien in Alice Abenteuern im Wunderland bieten bis heute eine Fülle von künstlerischen Inspirationen. Alice folgt dem sprechenden weissen Kaninchen in den verwinkelten Bau und gerät in eine wunderliche Welt. Ein ganzes Universum mit absonderlichen Figuren, in der Absurditäten und Widersprüche ihre ganz eigene neue Logik ergeben. Freundlich ist diese Welt tatsächlich nicht, aber immer höchst unerwartet. Konsequent vielleicht nur in der Unmöglichkeit, sich mit einer einzigen Interpretation „abschließen“ zu lassen.
In Laura Flöters „Wonderland“ spielen das Unerwartete, neu Verknüpfte, nicht Aufgelöste eine bedeutsame Rolle. „Wicked Wonderland“, das ist eine ganze Serie von teils großformatigen Material Collagen. Laura Flöter kombiniert teils winzige Alltagsobjekte aus verschiedensten Materialien, die vielschichtige Haufen bilden, aber auch Freiflächen lassen, zu organisch anmutenden Bildskulpturen. Sorgsam gesetzte Farbe, die dumpf und grau sein kann, aber auch kraftvolle bunte, teils grelle Akzente setzt. All dies trägt maßgeblich dazu bei, das vielleicht auf den ersten Blick Unverbundene zusammen zu bringen.Bei Laura Flöter gehen „Wonderland“ und „wicked“ in einer klangvollen Alliteration eine rätselhafte Verbindung ein. „Wicked“, das ist ein vielschichtiges Adjektiv: böse, schlimm, gefährlich, aber auch verrucht, raffiniert und verführerisch, bisweilen sogar anerkennend „super“, „krass“ oder „scharf“. Ein höchst schillernder Begriff, also. Und ohne Kontext ist er so gar nicht eindeutig.
Laura Flöters Kunst als Wunderkammer
Laura Flöter verdichtet in ihren Arbeiten Dinge aller Art in ein dicht gewebtes, spannungsvolles, bisweilen abstrus anmutendes Netz von Kuriositäten. Vielleicht ist man versucht, neue Bedeutungs- und Sinnzusammenhänge herzustellen, ein Narrativ zu entwickeln, dem vermeintlichen Chaos eine Struktur zu geben. Will all’ die mutmaßlichen Chiffren entziffern. Warum sitzt da Sponge Bob, wohin fliegen die kleinen Flugzeuge? Ist dahinten ein Horizont? Was schliessen all’ die Schlüssel auf? Oder zu? Die Muscheln und die Schnecken? Wem gehört der Wams? Oder die Perlenschnüre? Die Titel der Arbeiten, etwa „Gezeitentreibgut“, „Grenzland“ oder „Das rote Schloss“ und „Der Schlüsselmeister“ wirken nicht deskriptiv objektivierend oder gar klärend, sondern vielmehr höchst mysteriös. Vielleicht sogar ein wenig düster?
Nur, wenn Sie das in ihrem Kopf zulassen.In jedem Fall erzeugen Bilder Sinn, eben weil wir „Leerstellen“ kaum aushalten.Die Interpretation ist dabei höchst individuell. Und der Prozess ist spannend. So wie die Erforschung einer Wunderkammer mit ihren reich verzierten Kunstschränken. Versteckte Schubladen und symbolträchtige Ornamente in einem geheimnisvollen Kunst Kabinett, das Naturalien nicht von Artefakten oder Kunst vom Handwerk trennt.
Schließen Sie sich Laura Flöters Wunderkammern doch einmal mal auf. Geniessen Sie Ihre Verwunderung, spekulieren Sie, assoziieren Sie, verknüpfen Sie, entdecken Sie! Laura Flöters Arbeiten sind wie eine geheimnisvolle Tür. Und tatsächlich treibt Laura Flöter diese Vorstellung mit ihrer Arbeit „Die 7 schönen Schwestern / Die Tür“ gleichsam auf die Spitze. Denn eine komplette verglaste alte Haustür bildet weniger den bloßen Rahmen als vielmehr das schwergewichtige Tor in eine rätselhafte Welt. Man muss nur den Schlüssel drehen und die Klinke drücken.Treten Sie ein. Viel Vergnügen!
Laura Flöter, Wasteland Villa. Austellung im Hotel Villa Meererbusch. Bis Winter 2019.
Vernissage am 16.06.2019, 15.00 Uhr.