Magazin Gladbeck, Talstrasse 11. Ein Hausbesuch
Gladbeck, Talstrasse 11. Ich bin zu Besuch im „MAGAZIN Gladbeck“, bei Susanne A. Schalz, einer Künstlerin, die gleichzeitig an ganz vielen bunten Fäden zieht. Kurzum, ein Artikel reicht hier nicht. Deshalb gibt es auch zwei.
Susanne A. Schalz‘ Atelier „Pott in Farbe“ liegt mitten im Ruhrgebiet, und das ist auch genau der richtige Ort. Denn der Künstlerin liegt das Ruhrgebiet tatsächlich mitten im Herzen, und es ist ein zentrales Thema, das sich farbstark wie ein „roter Faden“, nein, ein bunter Faden, durch ihre Arbeit zieht.
Das alte „Magazin“, ein ehemaliges Lager- und Funktionsgebäude der Zechen- und Hafenbahn von 1914, sah ursprünglich ganz anders aus. Eine große Halle, mit einem Atrium und einem Rundgang im ersten Stock. Grau, staubig, mit sehr vielen Regalen (was soll man denn da bloß alles ´rein tun?!), war die alte Lagerhalle sicher funktional, aber eben nicht der lebendige Atelier- und Veranstaltungsort, den Susanne A. Schalz hier etabliert hat. Susanne A. Schalz hat den Charakter des Gebäudes bewahrt, sie hat das Funktionale, Industrielle erhalten, aber das Grau mit viel Farbe verwandelt. Inzwischen ist es hier hell, geräumig und bunt. Viel Platz für Kunst, Musik, Tanz und Theater. Und für die vielfältigen Veranstaltungen, die hier inzwischen stattfinden. Susanne A. Schalz nennt ihr Magazin einen „freischaffenden Raum“. Und das ist richtig. Die Umgebung beflügelt die vielfältigen Ideen und Konzepte, die hier Gestalt annehmen, und auch im Wortsinn „auf die Bühne“ kommen.
Das Ruhrgebiet im Frühling
Mein Atelierbesuch bei Susanne A. Schalz stand schon seit langem an, zumal Ihre Arbeiten schon seit Ende letzten Jahres bei uns im Haus ausgestellt sind. Und es ist einer dieser ersten sonnigen Frühlingstage, als ich mich auf den Weg mache, um sie im „MAGAZIN Gladbeck“ zu besuchen. Quer durch’s Ruhrgebiet, Richtung Essen und Oberhausen. Perfektes Licht, ein kalter Tag, aber strahlend, mit einem „Hauch Frühling“ in der Luft, auch wenn es im Freien noch ziemlich frisch ist.
Perfektes Licht für einen ungewöhnlichen Ort, der tatsächlich Farbe ausstrahlt, nicht allein, weil es hier bunte Stühle, mit ganz vielen Kissen und Decken gibt, und weil die hohen Wände voller bunter Bilder hängen. Susanne A. Schalz´ hat hier sehr viel Platz, auch für ihre wirklich großformatigen Revieransichten und ihre „coal down“ Abstraktionen. Ihre hochgereckten Fördertürme und stämmigen Zechen Anlagen, ihre bunten Farbstrudel und vielfarbigen Farbexplosionen.
Hier und da an den Wänden hängen noch einige wenige Überbleibsel von ihrer „Bergfrei“ Installation, mit der Susanne A. Schalz das letzte Jahr ausklingen ließ. Ihre Multimedia Reflektion auf den „Kohleausstieg“. Etwa auf farbige Platten montierte Kohlestücke aus jeder einzelnen Zeche des Ruhrgebiets. Oder grellbunt übermalter Abraum. Der riesige Kauenkorb, der, mit bunt bemalten Bergmannskleidungsstücken gefüllt, im Dezember noch unter der Decke im Atrium hing. Mit Schwarzlicht angestrahlt war „Bergfrei“ in der Dunkelheit des Abends ein ganz besonderes Farbenspektakel, das das „MAGAZIN“ komplett in Beschlag nahm. Der Kohleausstieg? Mal gar nicht trist und trüb, sondern höchst lebendig und knallbunt.
„Pott in Farbe“. Hier wird sogar Revierstaub bunt
Die Kohle, für die das Revier so sinnbildlich steht, findet sich tatsächlich als Material nicht nur in ihren gegenständlichen Ruhrgebietsbildern, sondern auch in ihren Abstraktionen. Als feiner Staub, oft zuunterst in ihren geschichteten Bildern, erkennbar „auf den zweiten Blick“, als der Hauch einer Spur, durchaus präsent, aber nicht dominant. Bisweilen auch zusammen mit einem Hauch „Abraum“, oder aber dem grauen Industriestaub, der sich in dem alten „Magazin Gladbeck“ in allen Ecken und Winkeln fand, bevor Susanne A. Schalz das große Gebäude vor gut drei Jahren übernommen und mit viel Energie in ihren Kunstraum verwandelt hat.
Denn diesen Staub des hundert Jahre alten Gebäudes, der in dicken Schichten nicht allein auf den Streben unter der Decke lag, hat Susanne A. Schalz sorgsam aufbewahrt. In kleinen Gläschen, ebenso wie den „Abraum“ der Region. Beides ist eine Zutat für viele ihrer Bilder. Und wenn „Abraum“ eigentlich der Definition nach im Bergbau die „Gesteinsschichten (sind), die das Nutzmaterial überdecken“, dann ist für Susanne A. Schalz gerade dieses Material außerordentlich nützlich. Denn es wird zu einem substantiellen Element, mit dem sich ihre Malerei tatsächlich auch physisch im Ruhrgebiet „verortet“.
So hat Susanne A. Schalz wohl unter anderem inzwischen nicht allein sämtliche Fördertürme des Ruhrgebiets portraitiert, sondern auch alle anderen (Industrie)denkmäler der Region. Für einen solchen Auftrag könne man sie auch nachts um 3.00 Uhr wecken, lacht sie. Sie hat jedes dieser Motive im Kopf, kennt jede einzelne Zeche bis in den letzten Winkel, malt jede Förderanlage mit jedem markanten Detail. Zeche Ewald in Herten, Zeche Pluto Wanne-Eickel, die Maschinenhalle oder Graf Moltke in Gladbeck, Haniel in Bottrop, Zeche Nordstern in Gelsenkirchen, die Zeche Holland in Bottrop. Das Gasometer in Oberhausen oder aber die Villa Hügel. Diese Liste ist alles andere als komplett. Denn sie hat diese Orte im Revier schon alle auf die Leinwand gebracht. Wirklich alle.
Das Ruhrgebiet ist bunt. Und richtig in Bewegung
Die „Klammer“, die die Kunst von Susanne A. Schalz zusammenhält, ist sicher die Farbe. Die Mehrheit ihrer Arbeiten ist höchst farbintensiv, leuchtend, bisweilen sogar grell. Da ist zum einen ihre figurative Malerei, Revieransichten und Reiseimpressionen, Landschaften in selbstbewussten Tönen, mit kräftigem Pinselstrich gemalte Architektur, die sie mit viel Energie und Nachdruck auf die Leinwand bringt. Hier fühlt sich Susanne A. Schalz selbstredend dem Motiv verpflichtet. Der Ort muss erkennbar und identifizierbar bleiben, was wiederum das Resultat der Arbeit kontrolliert. Und damit ist gewissermaßen auch klar, wann genau eine solche Arbeit fertig ist. Und ob sie sich „richtig“ anfühlt.
Zum anderen gibt es aber ihre Abstraktionen, wie die Arbeiten aus der Serie „coal down“. Und hier ist Susanne A. Schalz‘ Arbeitsprozess ein ganz anderer, wird zum spontanen Experiment mit ungewissem Ausgang. Der Malgrund liegt zunächst am Boden, kommt dann irgendwann auch an die Wand, wenn sich ein „oben“ und ein „unten“ abgezeichnet haben. Susanne A. Schalz arbeitet zunächst rings um die Leinwand herum.
Sie lässt die Farbe tropfen, spritzen, fließen. Die Farbe explodiert, bildet Schlieren. Denn Susanne A. Schalz mischt Farben mit unterschiedlicher Zusammensetzung, streut reine Pigmente und Kohle hinein, sie sprüht, schichtet, spachtelt, löst Oberflächen wieder mit Wasser an, so dass die Struktur an einigen Stellen aufplatzt, weil die unterschiedlichen „Zutaten“ sich gegenseitig abstoßen. Lochplatten oder eben etwa auch mal ein Stück Textilspitze mit Blumenornament werden vereinzelt zur Schablone für ein hauchzartes Ornament, das inmitten der Farbwirbel schwebt. Genauso wie ihr kleines Logo, ein stilisierter Förderturm, der wie ein kleines Monogramm durch die Farbwirbel tanzt. Dazu gibt es bei der Arbeit Musik, ganz laut, etwa Uplifting Trance von Blank & Jones.
Wann ist so eine Arbeit fertig? Auch das ist ein eher assoziativer Prozess. Irgendwann, wenn die Arbeit an der Wand hängt und sich „kurz vor Abschluss“ anfühlt, macht Susanne A. Schalz ein Photo. Und schaut sich ihr Werk anschließend auf dem Rechner an. Dies verschafft ihr den nötigen Abstand zur Arbeit. Unmittelbar, meint ohne diesen zwischengeschalteten Bildschirm, kann sie in dieser Phase die „Ist jetzt fertig“ – Entscheidung einfach nicht treffen. Sie wäre sonst einfach zu nah dran, oder sogar fast „drin“ in ihrem Bild. Mit dem technischen Umweg gelingt es ihr, den nötigen Schritt zurück zu treten, und die gebündelte Energie mit Abstand zu betrachten.
„Gibt’s denn auch Menschen?“
„Gibt’s denn auch Menschen?“ frage ich sie. Doch, die gibt es, aber eben nicht in den Revierbildern. Selbstredend sind in ihren abstrakten Bildern keine Menschen, und auch die Landschaften und Revieransichten sind menschenleer. Was aber nicht heißt, dass es in Susanne A. Schalz’ keine Menschen gibt. Allerdings hat es mit Susanne A. Schalz‘ Menschenbildern eine ganz andere Bewandtnis. Und die meisten sind nicht öffentlich, zumindest nicht für längere Zeit, vielleicht mal für eine Ausstellung, sondern sie hängen bei ihr zuhause. Von diesen Arbeiten mag sie sich nicht trennen. Und für eine öffentliche Ausstellung? Mit Mühe. Sie sind sehr persönlich, zu privat, fast wie ein Teil von ihr, der eine Art von schmerzhafter Lücke wird, wenn sie sich davon trennen würde.
Susanne A. Schalz‘ Menschenbilder enstehen in der Regel aus einem ganz besonderen Anlass, der für sie zum Impuls wird, zu malen. Ereignisse, die sie ins Herz treffen, aufregen, wütend machen. Etwa der Terroranschlag auf das französische Satire Magazin „Charlie Hebdo“, der für sie eine kämpferische Marianne mit einem großen Stift in der Faust wird. Oder tausende von Menschen, die auf ihrer Flucht über das Meer ertrinken. „Life vest under your seat” heißt ihre Arbeit dazu. Die Idee zu diesem Bild ist ihr gekommen, als sie selbst in einem Flugzeug sitzt, und über das Meer fliegt. Sie liest diesen Sicherheitshinweis, und hat plötzlich ein gestrandetes Boot im Kopf, das sie malen muss. Mit einem Skelett davor. Ein heruntergekommenes Boot, in dem mit Sicherheit keine Sicherheitswesten für die Passagiere waren.
Diese Arbeit war, ebenso wie die Marianne von „Charlie“, im Rahmen einer Einzelausstellung 2015 bereits im Düsseldorfer Landtag ausgestellt. Also, zumindest für eine gewisse Zeit im öffentlichen Blick, nicht mehr privat.
Viele dieser höchst persönlichen Arbeiten sind politisch, und gar nicht heiter oder leichtfüßig. Einiges erinnert im Stil fast an eine scharfzüngige Karikatur. Wie etwa eine Arbeit zum Brexit, die den Big Ben Turm zeigt, der sich auf einem kleinen Boot in Richtung Kontinent aufmachen will. Dieses Bild ist übrigens über zwei Jahre alt, und auf einem ausgerissenen Stück Pappkarton gemalt. Sie sieht an den Rändern ein wenig ramponiert aus, fast so wie ein Paket auf einer längeren, ziemlich beschwerlichen Reise.
Und der Arbeitsprozess? Ist impulsiv und reflektiert zugleich
So spontan und impulsiv, so nachdrücklich wie Susanne A. Schalz die Farbe auf die Leinwand bringt, und so entscheidungsstark und entschlossen sie vorgeht, wenn es um die Umsetzung ihrer Projekte geht, so ist die Künstlerin ein planvoller, reflektierter und strukturiertet Mensch. Von der ersten Idee bis zur Umsetzung und Fertigstellung ihrer größeren Projekte und Werkreihen können durchaus zwei Jahre vergehen.
An der Seite, auf dem Boden im Atrium, liegen viele lose Tanzbodenbahnen. Reste des Tanzbodens von Pina Bausch, um genau zu sein. Mit den Notizen der Tänzerinnen und Tänzern zu ihren Aufführungen in London und Paris. Das internationale Ensemble aus Wuppertal ist bei Susanne A. Schalz im „Magazin“ übrigens auch schon aufgetreten. Mit einem furiosen Tanzspektakel, „außer der Reihe“. Einer getanzten Improvisation mit großen und kleinen Gesten, die das ganze Gebäude mit seinem Atrium und dem Rundgang in der ersten Etage mit einbezogen hatte. Aus dem ausrangierten Tanzboden wird Susanne A. Schalz auch etwas machen. Dieser Boden wird vermutlich Malgrund. Und es wird wohl etwas zum Thema Tanz. Man wird sehen. Das Material gibt hier die Inspiration. Quasi die Vorhut für ein Projekt von Morgen oder Übermorgen.
Und das Projekt von heute?
Wir sitzen bei Susanne A. Schalz im sonnenhellen Atrium, mit Blick auf all‘ die Bilder und trinken heißen Tee, dazu gibt es Plätzchen aus der Schweiz. Aus der Schweiz, so wie die vielen neuen Farben, die sie gerade gekauft hat. Für ihr aktuelles Konzept: „SkulptRuhr“. Skulptur und Ruhr.
„SkulptRuhr“ ist Wortspiel, Zungenbrecher, selbstverständlich äußerst farbenfroh und Susanne A. Schalz allerneuestes Projekt. Und ziemlich aufwändig. Deshalb gibt’s dafür demnächst auch einen eigenen Eintrag, als zweiten Teil von meinem Atelierbesuch. Also, „Bleiben Sie dran!“ Kann man das in Zeiten von Netflix und endlosen Streamings überhaupt noch sagen? Vermutlich nicht. Egal, Sie wissen, was gemeint ist. Nächste Woche geht’s weiter.