„Everything else is ordinary.“ Alles andere ist gewöhnlich. RAQs Media Collective. K21 Düsseldorf. Bis 12.08.2018.
Gucken Sie zweimal hin. Mindestens.
Das 1992 in Neu-Delhi gegründete Raqs Media Collective setzt sich mit Zeit, Sprache und Geschichte auseinander. Die drei Mitglieder Jeebesh Bagchi (*1966), Monica Narula (*1969) und Shuddhabrata Sengupta (*1968) verknüpfen in ihren genre- und medienübergreifenden Interpretationen historische und philosophische Spekulation, Geschichtsforschung und Theorie. Die gezeigten Arbeiten stellen Sehgewohnheiten und vertraute Muster in Frage. Das Spiel mit der Sprache unterstreicht die Ambivalenz, ist augenzwinkernd, humorvoll und dabei höchst politisch, ohne zu belehren. Mehrdeutigkeit ist bereits im Namen der Gruppe „Programm“. Das Akronym RAQs steht einerseits für „Rarely asked questions“ (=selten gestellte Fragen), ist aber auch ein Begriff aus der Sufi-Mystik und bezieht sich da auf die ekstatische Drehbewegung der Sufi-Tänzer, die in ihrem Tanz höchste Konzentration erlangen.
„Zeit“ ist doch klar. Relativ zumindest, oder?
Ein zentrales Forschungsthema der Ausstellung ist die Auseinandersetzung mit der „Zeit“. Das ist auf den ersten Blick doch ein ganz klar umrissener Begriff, oder? Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Zeit“ beschäftigt seit Jahrhunderten Physiker, Philosophen und Künstler. Mit Einstein ist aus Newtons „absoluter“ Zeit zwar – inzwischen gesichert – eine „relative“ geworden, aber geklärt ist noch längst nicht alles. Tatsächlich sind die zentralen Fragen um das Thema „Zeit“ ebenso häufig gestellt wie beantwortet worden, und in weiten Teilen immer noch offen.
Was ist Zeit? Was bedeutet es, Zeit zu messen? Wie verhält sich Zeit zum Raum, zur Kausalität? Wie nehmen wir Zeit überhaupt wahr?
Das Künstler Kollektiv Raqs Media Collective hat ein sehr eindringliches Bild dafür.
„Einen Menschen zu bitten, die Zeit zu erklären, ist ungefähr so, wie ein auf dem Wasser treibendes Stück Plankton zu bitten den Ozean zu erklären. Wie grenzt ein Plankton den Ozean ein?“
Wieviel Uhr ist es in Peking? 20 nach 8. Oder „Gleichgültigkeit nach Extase“.
Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Ausstellung ist die Installation „Escapement“ (2009). Eine Sammlung von 27 Uhren für jede Stunde des Tages erinnert an die Uhren, die in internationalen Unternehmen in den Büros hängen, damit man schnell mal gucken kann, ob der Kollege auf der anderen Seite des Globus wohl schon arbeitet. New York, Peking, Johannesburg. 24 Uhren stehen für reale Städte , 3 Uhren für imaginäre. Babylon, Shangri-La und Macondo. Ein fiktiver Ort, in dem Gabriel García Márquez seinen Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“ angesiedelt hat. Und die Uhren für die imaginierten Orte sind gespiegelt, und gehen überdies rückwärts! Was auf den ersten flüchtigen Blick die schlichte „Uhrzeit“ scheint, ist schier schicksalhaft. Es gibt eine Zeit für Angst, Pflicht und Schuld, Gleichgültigkeit, Scheu, Furcht und Panik, aber auch für Erschöpfung, Reue und Wehmut oder Sehnsucht. Um 12 Uhr steht mit „epiphany“ die göttliche Offenbarung an. Keine Zeit ist übrigens für das Entkommen, zumindest steht es nicht auf diesem Ziffernblatt. Und ja: in „Escapement“ steckt übrigens nicht allein das englische „escape“ (=entkommen), sondern auch der Fachbegriff für die „Hemmung“ einer Uhr, das in die Uhrenmechanik integrierte „Hemmen“ des Räderwerks, um den regelmäßigen Gang der Uhr sicherzustellen.
Auf selten gestellte Fragen gibt es bisweilen auch keine Antwort. Zumindest nicht nur eine.
RAQs liebt die Ambivalenz, inszeniert gern die Überraschung „auf den zweiten Blick“. Viele Arbeiten wirken wir ineinander geschachtelten Matrjoschka-Puppen, deren Deutungen sich mit jedem neuen Blick anders offenbaren. So zeigt etwa die Video-Installation „The Knots that bind are the knots that fray“ (2010) ein Ereignis als „Verschiebung“. In England war 2007 die Swan Hunter Werft bankrott gegangen, und die Krananlage wurde an die indische Westküste verschifft, wo sie wieder aufgebaut und in Betrieb genommen wurde. Amateur-Aufnahmen vom Abbau und Transport des letzen Krans waren das Ausgangsmaterial für diese Arbeit. Das „knots“ (=Knoten) im Namen der Arbeit bezieht sich auf die nautischen Knoten, einmal als Maß für die Geschwingkeit, aber auch in Zusammenhang mit dem Verknoten von Seilen, und verweist auch auf die globalen Verschränkungen und „Verknotungen“, die wirtschaftliche Verschiebungen einleiten. Die alte britische Empire mit großer Seefahrer-Tradition wird hier zu einem Zulieferer der ehemals abhängigen Kolonie. So zeigen auch die Elemente der Installation „Coronation Park“ (2015), die auf einem Rundgang durch den kleinen Park vor dem K21 zu erleben sind, tatsächlich hohle oder auch halbierte Denkmäler, die gleichsam als Zeit-Zeugen für den glanzlos gewordenen Prunk eines Empire stehen, das es schon längst nicht mehr gibt. Oder doch? Viele Denk-Anstösse, und anregende Anlässe zu hinter-fragen, wie es denn um die Ewigkeit von vermeintlichen Ikonen im Zeitverlauf und unter veränderlichen Bedingungen denn grundsätzlich so steht.